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Warum Literatur und Physik ?
Physik und Literaturwissenschaft: Ihre Berührungspunkte sind nicht unmittelbar augenfällig – auf den zweiten Blick aber umso plausibler. Beide Disziplinen verbindet ein gemeinsames Erkenntnisinteresse: Wie lässt sich die Welt beschreiben? Was die einen mit Formeln tun, bewältigen die anderen in der Narration. Dass (sprach-)kulturelle und wissenschaftliche Interessen sich nicht nur überschneiden, sondern im Kern eins sind, das war zu Keplers, Lichtenbergs oder Goethes Zeiten noch selbstverständlich. In den ausdifferenzierten Spezialdiskursen der Gegenwart scheint das Bewusstsein für diese Einheit geschwunden, sie selbst aber ist geblieben. Dieser Einheit widmet sich ELINAS, das Erlanger Zentrum für Literatur und Naturwissenschaften.
Literatur als Spiegel
Literatur beschreibt die Welt, in der wir leben, auch die Welt der Physiker: der verrückte Professor, die Verantwortung des Wissenschaftlers, die geheimnisvolle Welt des Labors sind typische Figuren, Themen und Szenarien. Theaterstücke wie Friedrich Dürrenmatts ‚Physiker‘, Bertolt Brechts ‚Leben des Galilei‘ oder Michael Frayns ‚Kopenhagen‘ werden oft aufgeführt – auch von Physikstudenten. In Campusromanen oder selbst in Romanen wie ‚Frankenstein‘ oder in der fiktiven Biographie ‚Die Vermessung der Welt‘ können Physiker etwas lernen über ihre Disziplin, den Forschungsbetrieb und die ethischen Implikationen ihrer Forschung. Viele Schriftsteller haben so der Physik einen Spiegel vorgehalten, der manchmal verzerrt aber manchmal auch etwas Übersehenes in den Blick bringt. So ist Physik längst in die Popkultur eingegangen. Das Beamen in Star Trek wird genauso alltäglich diskutiert wie die Physik der Superhelden in den (Marvel) Comics. Selbst im Fernsehen dient die Welt der Physiker spätestens mit der Serie ‚Big Bang Theory‘ einem Millionenpublikum zur Unterhaltung.
ELINAS veranstaltet daher Lesungen von Schriftstellern, unterstützt Theateraufführungen, bietet Exkursionen an und diskutiert über Ethik in der Wissenschaft. Physiker möchten sich über die gesellschafltichen und kulturellen Folgen ihrer Forschung bewußt werden und sich daher in ELINAS mit Literaturwissenschaftlern über die Darstellung ihres Faches diskutieren.
Literatur als Sprachlabor
Literatur ist aber nicht nur ein Spiegel, in dem Physiker sich und ihre Welt betrachten können. Physik und Literatur haben auch eine gemeinsame Sprache. 2012 wurde in der Physik heftig über den sogenannten Karlsruher Physikkurs gestritten; eine alternatives Lernkonzept von Physik in der Schule. Meines Erachten basierte ein wichtiger Teil der Kontroverse in der Sprache, in den unterschiedlichen Weisen wie physikalische Ideen und Erkenntnisse sprachlich gefasst werden. Darf z.B. der vertraute Begriff ‚Kraft‘ auch ‚Impulsfluß‘ genannt werden? Was meint man dann mit dem Begriff ‚Impulsfluß‘? Ist es ein Synonym zu ‚Kraft‘ oder eine Metapher wie ‚Stromquelle‘, die uns so vertraut geworden ist? Erstaunlicherweise wurde in der Kontroverse vor allem die mathematische und physikalische Korrektheit der Konzepte des Karlsruher Physikkurses diskutiert und es wird so gut wie gar nicht auf seine sprachliche Fassung eingegangen.
Physiker achten oft zu wenig auf die Sprache und darauf, wie sie funktioniert und wie sie auch in die Irre führen kann. Ein altes Beispiel ist die Rede von ‚Energieerzeugung‘ wo eigentlich ‚Energieumwandlung‘ gemeint ist, da Energie strikt erhalten bleibt und nicht erzeugt werden kann. Ein besseres Beispiel ist ‚Lichtkrümmung‘, das als zentrale Erkenntnis der Allgemeinen Relativitätstheorie gilt. Albert Einstein erkannte aber, dass man den Raum und die Zeit als gekrümmt betrachten kann, in dem das Licht sich geradlinig ausbreitet, also gerade nicht gekrümmt ist. Nur in der alten Raumvorstellung von Isaak Newton macht es Sinn von ‚Lichtkrümmung‘ zu reden. Hier wird also durch die Wahl der Metapher ‚Lichtkrümmung‘ die eigentlich revolutionäre Erkenntnis Einsteins sprachlich wieder zugedeckt. Literatur kann helfen zu lernen, genauer mit physikalischen Begriffen und den oft ungewollt assoziierten Bildern umzugehen.
ELINAS arbeitet daher mit Didaktikern und Lehrern zusammen, um die Bedeutung der Sprache im Physikunterricht zu untersuchen. Physiker möchten die Sprache, die sie benutzen, besser verstehen, weshalb sie in ELINAS mit Sprach- und Literaturwissenschaftlern zusammenarbeiten.
Ein wichtiges Beispiel, dafür, dass Sprache ganz entscheidend für einen Physiker ist, ist wenn er Publikationen lesen und eine eigene Publikation über seine Ergebnisse schreiben soll. Viele hervorragende Physikstudenten, die nie Probleme beim Experimentieren oder Rechnen hatten, scheitern gerade am Schreiben. Physiker müssen aber viel Schreiben, wobei Rethorik und Argumentationstechniken eine zentrale Rolle spielen: Publikationen, Gutachten, Vorlesungsskripte, Gesprächsprotokolle, Vorträge. Literatur kann helfen zu lernen, so verschiedene Textarten genauer zu lesen und sie besser zu schreiben. Die Bedeutung von Sprache in der Physik kann nicht unterschätzt werden.
ELINAS bietet daher hierzu Übungen und Seminare an und organisiert z.B. mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft eine gemeinsame Konferenz zu ‚Rhetorik und Argumentation in der Physik‘.
Physik als Sprachlabor
Nicht nur Literatur, sondern auch Physik ist ein Sprachlabor. Physiker haben eine mathematische Sprache entwickelt, mit der sie Phänomene der Natur sehr genau beschreiben können. Die mathematische Sprachwelt ist logisch-formal aufgebaut und erlaubt eine widerspruchsfreie Behandlung von Problemen, weshalb man sich in der Physik recht schnell auf eine Lösung einigen kann. Nicht so schnell einigen kann man sich aber, was die mathematischen Begriffe in der Natur überhaupt zu bedeuten haben. Ist ein ‚Punktteilchen‘ eine sinnvolle mathematische Metapher für einen ‚Stein‘, der geworfen wird? Kann man magnetische Kräfte als ‚Vektorfelder‘ bezeichnen? Noch schwieriger wird es, wenn es darum geht zu beschreiben, wie solche mathematischen Begriffe gemessen werden können. Dann muss der Physiker die mathematische Sprachwelt verlassen und in normalem Deutsch erzählen, was der Experimentator tun soll. Der Physiker ist dann eigentlich ein Schriftsteller, der eine Geschichte über ein Experiment erzählt. Der einzige Unterschied zu einem fiktiven Roman ist, dass die Erzählung tatsächlich nachgelebt werden kann und im Messergebniss eine Zahl erhalten wird, die mit der fiktiven mathematischen Welt verglichen werden kann. Diese Übereinstimmung ist der unverzichtbare Bewertungsmesser für die Physik, ob die experimentellen Messerzählungen oder die mathematischen Modellerzählungen etwas taugen. Literatur kann helfen, besser zu begreifen, wie diese Sprachspiele der Physik funktionieren. Eine Erkenntnistheorie der Physik ist notwendig sowie auch eine Sprach- und eine Erzähltheorie der Physik.
ELINAS arbeitet daher mit Philosophen zusammen, um die Bedeutung der Sprache in Erkenntnisprozessen der Physik zu untersuchen. Wissenschaftstheoretiker möchten die spezifischen Erzählweisen der Physik verstehen, weshalb sie in ELINAS mit Physikern zusammenarbeiten.
Literatur als Mikroskop
Literatur ist aber nicht nur Sprachhilfe für Physiker. Physik und Literatur haben auch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse. Schriftsteller erforschen schreibend die Welt, in der wir leben. Wie mit einem Teleskop holen sie Fernes nahe heran, so dass wir es genauer betrachten können. Als Johannes Kepler über das Sonnensystem nachdachte, formulierte er nicht nur die nach ihm benannten Keplerschen Gesetze der Planetenbahnen, sondern er schrieb auch eine fiktive Geschichte über eine Reise zum Mond. Er versuchte sich schreibend vorzustellen, was es bedeutet, wenn der Mond kein himmlisches Gestirn ist, sondern eine zweite Erde mit Tälern und Bergen, auf der man leben kann. Science Fiction im besten Sinne des Wortes: imaginierte Welten loten aus, was gerade denkbar geworden ist. Physikalische Erkenntis inspiriert solche Weltreisen und fiktive Welten motivieren genauer über die Natur und ihre Physik nachzudenken. Ein schönes Beispiel ist der Roman ‚Contact‘ von Carl Sagan, der Vielen in der Verfilmung mit Jodie Foster bekannt wurde. Nicht so bekannt ist die Entstehungsgeschichte, in der Carl Sagan den bekannten Astrophysiker Kip Thorne fragte, was ‚Wurmlöcher‘ sind und wie Zeitreisen möglich sind. Thorne wollte keine schnelle Antwort geben, sondern nahm dies zum Anlaß darüber zu forschen und eine Reihe von wichtigen physikalischen Publikationen zu schreiben, in denen er auch Bezug nimmt zu dem Romanmanuskript von Carl Sagan.
Das ist kein einzelnes Beispiel und auch nicht auf die Moderne beschränkt: Physik und Literatur haben eine gemeinsame Geschichte. Schriftsteller reagierten stets auf neue Erkenntnisse über die Natur. Goethes Wahlverwandtschaften ist in der Auseinandersetzung mit der neuen Chemie entstanden und in modernen Romanen kommen Quantensprünge und Schrödingers Katze vor. Wichtig ist, dass es in Literatur nicht nur um belanglose Zitate aus der Physik geht, sondern darum, was Quantenphysik für uns Menschen bedeutet. Physik kann hier im Dialog mit Schriftstellern aber auch mit Geisteswissenschaftlern einen wertvollen Beitrag leisten.
ELINAS bietet daher ein Forum für den Austausch zwischen den Wissenschaftsdisziplinen, aber auch mit Schriftstellen z. B. in Dichterlesungen und in Science&Poetry Labs. Literaturwissenschaftler möchten diese wechselseitigen Bezüge von Literatur und Physik in einem historischen Kontext verstehen.
Physik und Literatur haben auch gemeinsame Methoden, die Welt zu erforschen: Gedankenexperimente, Genauigkeit der Beschreibung, Erfinden neuer Wege. So sind z.B. Metaphern, bildliches Denken, ein grundlegendes Instrument Neues zu denken. In der Physik war es eine Revolution als Faraday auf die Idee kam, magnetische Kräfte als ein ‚Feld‘ zu begreifen, ein Kornfeld mit Halmen, die sich ausrichten können und Wirbel bilden. Solche Metaphern sind wie ein Mikroskop, das Verborgenes plötzlich sichtbar macht. Literatur lebt von Metaphern und kann einem Physiker zeigen, wie Metaphern funktionieren, wie sie das Denken prägen und das Verständnis leiten.
Umgekehrt verwendet Literatur interessanterweise oft Metaphern, die aus der Physik kommen. Dann wird Liebe zu einer magnetischen Anziehung und der Tod zu einem schwarzen Loch. Selbst Formeln werden in vielen Werken literarisch genutzt. Alfred Döblins Roman ‚Berlin Alexanderplatz‘ ist vielen bekannt; viele haben vermutlich die im Text auftauchende Formel für Newtons Kraftgesetz überlesen. Physiker fragen sich, welche Bedeutung solche Formeln in einem Roman haben. Aber nicht nur Formeln, sogar ganze theoretische Modellvorstellungen wie die Quantenmechanik werden in Literatur verwendet: als erzählerisches Strukturmodell, als Stilmittel, als fiktive Weltstruktur. Physiker möchten die Erkenntnisweise der Physik besser verstehen und die Beschäftigung mit Literatur und ihren Darstellungsweisen hilft ihnen dabei: Wo liegt der Unterschied zwischen wissenschaftlichen und literarischen Gedankenexperimenten? Wo gleicht die Romangenese einem wissenschaftlichen Forschungsprozess? Wo sind literarische Metaphern in der physikalische Erkenntnis der Natur hilfreich? Um solche Fragen beantworten zu können, müssen Literaturwissenschaftler und Physiker gemeinsam diskutieren.
ELINAS bietet für diesen interdisziplinären Austausch ein Forum.